Ein Schloss mit den Betriebskosten eines Reihenhauses – was nach Werbeversprechen klingt, ist in Modrá Hůrka in Südböhmen Realität. 540 Quadratmeter Wohnfläche, in den 1990er Jahren noch eine Ruine, 2023 wiederbelebt im Geist der Renaissance und des frühen Barock. Der Energieverbrauch entspricht dem eines durchschnittlichen Prager Einfamilienhauses. Kein Kompromiss an der historischen Substanz, keine sichtbare Haustechnik, kein musealer Dornröschenschlaf. Dieses Immobilienprojekt beweist: Historische Bausubstanz und zeitgemäße Effizienz schließen sich nicht aus.
Modrá Hůrka, einst auch ein Besitz der Familie Schwarzenberg, gilt in Südböhmen als Referenzobjekt. Das historische Erbe der Großgrundbesitzer im ländlichen Raum wartet vielerorts noch auf seine Wiederbelebung. Zwar gab es seit dem politischen Umbruch trotz sinkender Fördermittel und steigender Kosten viele positive Entwicklungen, doch nicht alle großfürstlichen Residenzen hatten Glück. Einige von ihnen wurden durch verantwortungslose Eigentümer auch in den Nachwendejahren noch weiter entfremdet und vernachlässigt, so dass sie selbst aus Sicht erfahrener Investoren nicht mehr mit Vernunft zu retten sind, berichtet der Prager Projektentwickler Petr Zikmund.
Auch um sein Schloss (zámeček) im Norden von Budweis/České Budějovice stand es ähnlich schlecht. Mit sorgfältiger Planung und einem klaren Konzept entstand in sieben Jahren kein Liebhaberobjekt für Nostalgiker, sondern eine funktionale Residenz mit Substanz, die ganz ohne Denkmalauflagen einer denkmalgerechten Sanierung gleichkommt.
In Tschechien werden große Schlösser des Adels als zámek und kleinere Residenzen des Landadels meist als zámeček bezeichnet. Ähnlich wie in Deutschland werden die Begriffe auch synonym verwendet, unabhängig von ihrer genauen kulturhistorischen Einordnung.
Menschen entwickeln und verändern sich und so ist es nicht ungewöhnlich, dass man Projekte, die man langjährig begleitet und gestaltet hat, irgendwann weitergibt – an Gleichgesinnte, die sich nicht die nächsten Jahre mit Sanierung, Kalkulationen und Heizfragen belasten wollen. Sein zum Verkauf stehendes Schloss ist sorgfältig hergerichtet und technisch auf dem neuesten Stand. Im folgenden Gespräch erklärt Zikmund, wie man ein Schloss entromantisiert, ohne seinen Charakter zu verlieren – und warum 540 Quadratmeter Wohnfläche heute weniger bedeuten als der richtige Heizplan.

- Zwischen Schock und Faszination
- Rationale Kalkulation oder irrationale Bindung?
- Ohne Denkmalschutz – Freiheit und Verantwortung zugleich
- Historische Treue: Absicht oder Selbstverständnis?
- Sanierung: Wer bestimmt den Kurs?
- Aktuelles Nutzungskonzept des Schlosses
- Kleiner Verbrauch dank Wärmepumpe
- Große Räume, kleine Ansprüche
1. Herr Zikmund, Ihr Schloss teilte das Schicksal vieler Schlösser in ehemals sozialistischen Ländern: vernachlässigt, entfremdet, geplündert. Wie haben Sie es bei Ihrer ersten Besichtigung vorgefunden?
Bei meinem ersten Besuch präsentierten sich Schloss und Grundstück in einem desolaten Zustand. Paradoxerweise lag dies weniger an der sozialistischen Vergangenheit, sondern vielmehr an der Nachwendezeit, als das Anwesen nach der kirchlichen Restitution in private Hände gelangte. In den 1990er Jahren wurden viele Schlösser in Tschechien für kleines Geld veräußert – häufig wechselten die Eigentümer, nur selten hatte jemand ein Bewusstsein für den Wert solcher Immobilien, geschweige denn ein Nutzungskonzept oder eine Sanierungsabsicht. Stattdessen blieben die Immobilien oft reine Spekulationsobjekte; vorhandene Substanz wurde zerstört, Inventar wie Kamine oder Einbauten förmlich herausgerissen. Auch in Modrá Hůrka bot sich mit dunklen Fensterhöhlen ein tristes Bild, das nicht auf Anhieb den Wert des Ortes erkennen ließ. Das Erdgeschoss diente zeitweise sogar als Schweinestall. Und dennoch war der Genius loci spürbar.
Geist des Ortes
Bezeichnet die besondere Atmosphäre oder Ausstrahlung, die einem Ort innewohnt – unabhängig vom baulichen Zustand. In Architektur und Denkmalpflege beschreibt Genius loci die schwer greifbare Qualität historischer Gebäude oder Landschaften: ihre Geschichte, Wirkung und emotionale Resonanz. Ein Ort kann verfallen sein und dennoch stark präsent wirken.

2. Was hat Sie an diesem Ort gehalten – rationale Kalkulation oder irrationale Bindung?
Als ich begann, mich intensiver mit der Geschichte auseinanderzusetzen, studierte ich alte Unterlagen aus den Archiven und war erstaunt, wie es hier Mitte des 13. Jahrhunderts aussah: Der niedere Adel errichtete einen gotischen Herrensitz mit Kirche und das Dorf war befestigt. Heute lässt sich an vielen Stellen noch fast acht Jahrhunderte Geschichte ablesen, mit markanten Merkmalen der verschiedenen Epochen – von der Gotik über die Renaissance bis zum Barock. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Renaissancebau, der nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges in schlechtem Zustand war, von den Schwarzenbergern um einen barocken Teil erweitert. Diese Nachvollziehbarkeit bot eine großartige Grundlage für jede Art von Überlegungen. Auch der Name Schwarzenberg spielte bei der Kaufentscheidung eine Rolle: Eine bedeutende Familie in Böhmen, deren kulturhistorischer Einfluss bis heute spürbar ist und die die Entwicklung der Region entscheidend geprägt hat.
Da ich bereits zuvor in Prag alte Häuser saniert hatte und mir die finanzielle Planung zutraute, stand für mich schnell fest: Nach 800 Jahren muss es hier weitergehen und dieser Ort darf seine Geschichte nicht verlieren.

3. Ihr Schloss wurde von der Denkmalliste gestrichen. Wann und warum geschah das und war das für Sie eher ein Vorteil – weil Sie frei entscheiden konnten – oder ein Nachteil? Wie haben Sie die Sanierung finanziert: mit Fördermitteln oder komplett privat?
Das Objekt wurde in den 1950er Jahren aus dem Denkmalverzeichnis gestrichen. Dieser Schritt war rein ideologischer Natur, um die alte Feudalsymbolik zu entmystifizieren. Zudem stellten die Behörden die zweckmäßige Nutzung über den Erhalt der historischen Substanz.
Die Streichung von der Denkmalliste war durchaus von Vorteil, weil behördliche Abstimmungsprozesse entfielen. Aus meiner Erfahrung mit der Sanierung denkmalgeschützter Altbauten in Prag weiß ich zwar, dass solche Prozesse in der Regel kooperativ ablaufen, bei Denkmälern ziehen sie sich jedoch oft in die Länge und sind bürokratisch sehr aufwendig.
Dennoch verstanden wir die fehlenden Auflagen nicht als Freibrief. Im Gegenteil: Auch ohne behördliche Vorgaben fühlten wir uns verpflichtet, die historische Substanz zu respektieren und denkmalgerecht vorzugehen. Die Freiheit war gleichzeitig Verantwortung.
Fördermittel oder sonstige Unterstützung haben wir bei der Sanierung nicht in Anspruch genommen. Zwar wäre eine Bezuschussung unter bestimmten Auflagen möglich gewesen, doch wir wollten in Bezug auf die künftige Nutzung flexibel bleiben und haben daher alles selbst finanziert.

4. Wer heute durch die Räumlichkeiten wandelt, staunt über den präsenten Geist der Renaissance und des Frühbarock – war historische Treue dabei bewusstes Ziel?
Auf jeden Fall! Eines unserer Hauptziele war es, die historische Authentizität des Hauses zu bewahren und die rohen Details sichtbar zu erhalten – Türen, Böden, Putz, Fassade. Die emotionale Wirkung des Ortes, das Erleben seiner Geschichte, liegt unserer Ansicht nach gerade in dieser Rauheit, in den kleinen, unverfälschten Details. Wir wollten keine geglättete, unauthentische Stilistik schaffen, sondern dass die Geschichte des Hauses an jedem Ort spürbar bleibt.
Trotz des damals schlechten Zustands war ich erstaunt, dass im Obergeschoss noch die 400 Jahre alten Holzböden vorhanden waren. Wir haben sie nur grob abgeschliffen und geölt. Auch das Treppenhaus stammt noch aus dem 16. Jahrhundert und auf der Podestfläche ließen wir die Ziegelplatten unverändert – nach vier Jahrhunderten sind sie an manchen Stellen stark abgetreten. Diese Spuren sind Symbole, Zeugnisse der Zeit.
Das Schloss haben wir in grau-blauen Tönen gestaltet – eine typische Farbe der rauen südböhmischen Renaissance und zugleich die Farbe der Schwarzenberger, der damaligen Eigentümer des Anwesens. Auch dies ist ein Abdruck der Geschichte, sichtbar in jedem Raum.

5. Die Sanierung dauerte von 2016 bis 2023. Wer führte die Regie und wer war Ihr wichtigster Ratgeber auf diesem Weg?
Wie bei unseren früheren Immobilienprojekten führten meine Frau und ich weitgehend selbst als Architekt und Interior Designer die Regie – wir waren dabei gleichzeitig unsere wichtigsten Ratgeber und Entscheidungensträger in allen gestalterischen und architektonischen Fragen. Die Arbeiten wurden von bewährten Handwerksbetrieben ausgeführt, mit denen wir bereits in Prag gute Erfahrungen gemacht hatten. Ich übernahm die Bauaufsicht und pendelte vier- bis fünfmal pro Woche zwischen Prag und dem Schloss.
Mir war es wichtig, jederzeit die Kontrolle zu behalten – von der Budgetverwaltung über den zeitlichen Ablauf bis zur Qualitätskontrolle. Diese Vorgehensweise hatte sich bereits in der Vergangenheit bewährt und erwies sich erneut als effektiv. Zwar dauerte die gesamte Sanierung mehrere Jahre, doch dank strikter Organisation verlief jede Bauphase effizient, ohne unnötige Verzögerungen und wurde termingerecht mit bestandener Qualitätskontrolle abgeschlossen.

6. Viele Schlösser leben neben ihrer privaten Nutzung auch von öffentlichen Angeboten. Wie nutzen Sie Ihr Schloss?
Unser Ziel war von Anfang an, das Anwesen nicht kommerziell zu nutzen – deshalb haben wir auch auf Fördermittel verzichtet. Aufgrund unserer großen Familie war das Schloss von Beginn an als rein privates Refugium konzipiert, mit der Möglichkeit, jederzeit Familienmitglieder, Freunde und Gäste willkommen zu heißen. Wir sind gerne Gastgeber und daher war es uns wichtig, das Alte und Große trotzdem angenehm und gemütlich zu gestalten, damit sich jeder hier wohlfühlt. Eine besondere Rolle spielt die restaurierte Scheune, die in ihrer Größe und Lage selbstverständlich auch kommerzielle Nutzung zuließe. Ebenso der beheizte Außenpool und der direkt daneben gelegene alte Schlossweiher mit seinen grünen Ecken – eine gelungene Symbiose zwischen Alt und Neu.


7. Schlösser gelten als Energie- und Kostenfresser. Ihres dagegen verbraucht bei über 500 m² kaum mehr Energie als ein Prager Einfamilienhaus. Was ist das Geheimnis dahinter?
Auf die Heizung sind wir schon ein bisschen stolz, da uns dieses Thema lange beschäftigt hat und auch unter Fachleuten unterschiedliche Meinungen existieren. Sie ist das wohl wichtigste Argument für das Schloss und zugleich Basis modernen Wohnkomforts. Bei den massiven Steinaußenmauern wäre ein herkömmliches Heizsystem kaum effektiv oder extrem kostenintensiv gewesen. Deshalb entschieden wir uns für eine großangelegte Investition in das fortschrittlichste und effizienteste Heizsystem: Wasser-Wasser-Wärmepumpen mit mehreren 200 Meter tiefen Geothermiebohrungen.
An diese Wärmepumpen angeschlossen ist eine nahezu flächendeckende Fußbodenheizung, die zusammen mit Radiatoren für konstant angenehme Temperaturen im gesamten Schloss sorgt. Die Wärmepumpen arbeiten von frühem Herbst bis spät in den Frühling und die Mauern speichern die Wärme dauerhaft. Gäste, die bei ihrem ersten Besuch noch warme Unterwäsche mitbringen, staunen über konstant angenehme 20–22 Grad. Im Sommer dienen die Geothermiebohrungen zudem zur Kühlung der Dachböden.
Die Betriebskosten widerlegen ein hartnäckiges Vorurteil: Stromverbrauch und -kosten für das gesamte Anwesen liegen auf dem Niveau eines größeren Prager Einfamilienhauses. Zwar war die Anfangsinvestition erheblich, doch für ein Schloss erwies sich das System als besonders effizient. Vergleichbare historische Immobilien mit einem derart umfassenden und wirtschaftlichen Heizsystem sind nach meiner Beobachtung sehr selten.

8. Da Sie Ihr Werk nun einem Nachfolger übergeben möchten: Es gibt Menschen, die sich nach weniger Raum sehnen und andere, die bewusst den Raum in alten Mauern suchen. Wie würden Sie jemanden für die Idee begeistern, in einem Schloss zu leben, das größer, aber nicht verschwenderisch ist?
Ein Schloss ist kein Haus – es ist eine Haltung. Wer hier lebt, entscheidet sich nicht für mehr Quadratmeter, sondern für eine andere Qualität von Raum: Proportionen, die Großzügigkeit nicht mit Verschwendung verwechseln. Raumhöhen, die atmen lassen. Licht, das sich über Stunden verändert und den Tag strukturiert.
Wir haben Modrá Hůrka so saniert, dass jeder Bereich eine Funktion hat – keine repräsentativen Leerstände, keine Fluchten ungenutzter Zimmer. Die Technik arbeitet effizient im Hintergrund, die Organisation ist durchdacht. Man bewohnt 540 Quadratmeter nicht anders als 200 – nur bewusster. Und mit mehr Möglichkeiten: einen Raum für Gäste, einen zum Arbeiten, einen zum Rückzug. Flexibilität, ohne Kompromisse.
Die Innenräume haben wir eklektisch möbliert – keine museale Strenge, sondern spielerische Kombinationen aus Epochen, Farben, Stilen. Es ging uns nicht um historische Reinheit, sondern um Lebendigkeit. Wer hier eintritt, spürt sofort: Dieser Ort wurde nicht inszeniert, sondern gelebt.
Ein Schloss verlangt keine Dienerschaft und keine Selbstaufgabe. Es verlangt nur eines: die Bereitschaft, Raum nicht als Luxus, sondern als Lebensqualität zu begreifen. Wer das versteht, wird hier nicht wohnen – sondern ankommen.
